Befindet man sich nicht gerade in der Nähe des Steinbruchs von Arvigo, dann empfindet man das Calancatal vor allem als eines: still. Auf seiner Länge von 20 Kilometern leben knapp über 400 Menschen, sieht man einmal von den zwei Dörfern Santa Maria und Castaneda ab, die den Eingang zum Tal überragen und damit geografisch eigentlich noch im Bereich des Haupttals – des Misox (Val Mesolcina) – liegen.
Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein im Calancatal. Abgesehen von den Steinbrüchen gibt es kaum Geschäftstätigkeit, Landwirtschaft wird aber auch meist nur noch im Nebenerwerb betrieben, anders als um 1500 heraus, als hier 3.000 Menschen lebten. Die wiederum konnten die kargen Böden nicht ernähren, im Laufe der Jahrhunderte lam es immer wieder zu Auswanderungswellen. Das Tal hat irgendwie nichts, was es gewinnbringend zu Markte tragen kann, bis auf den Calancascer Granit. Die Hälfte der Häuser steht leer, die ehemaligen Bewohner wohnen aber zumeist im nahen Tessin und pflegen ihre Häuser an Wochenenden oder während der Ferien. meisten
und auch der Tourismus hat sich hier nie richtig entwickelt. Was für ein Glück, denkt man, wenn man den Weg entlang des Talflusses Calancasca wandert. Sehr abwechslungsreich ist das: mal fließt das Wasser zwischen abgeschliffenen Felsen von einer kleinen Gumpe zur nächsten, dann wieder gibt es ein Stück ebener Fläche. Das Material wurde von der Calancasa im Laufe der letzten Jahrhunderte angeschwemmt, nachdem im Jahr 1513 ein gewaltiger Bergsturz das Tal beim heutigen Cauco unter sich begrub und den Fluss zunächst stark aufstaute. Von den steilen Talflanken stürzt vielerorts Wasser hinunter, unbestrittener Star unter den Wasserfallen ist aber die Cascata del Frot, die weithin sichtbar oberhalb von Audio, dem zweitobersten Dorf, liegt.
Das Hotel “La Cascata” in Augio, das nach dem Wasserfall benannt ist, steht für eine besondere Auswanderungsgeschichte. Carlo Spandino, 1884 als Baumaler nach Paris ausgewandert, kehrte viele Jahre später heim. Jedoch nicht alleine – er brachte seine 16-jährige französische Ehefrau mit, der er hier im abgelegnen Bergtal ein adäquates neues Zuhause errichten ließ. So entstand der Palazzo, der heute Hotel ist – das Interieur wurde aufwendig zusammengetragen und füllte fünf Eisenbahnwaggons. Auch ein Spiegelsaal war inbegriffen.