Im Nordwesten des Iran, in der Provinz Ost-Aserbeidschan, liegt Kandovan. Am Ende eines Tals ist das Dorf in die Tuffstein-Formationen des Kuh-e Sahand Gebirges hineingebaut. Archaisch und gleichzeitig von hoher Baukultur zeugend – ein wunderschöner Ort in einsamer Landschaft.
Wir fahren gerade durchs einen See, mit Tempo 100. Das Problem: Der See befindet sich auf der Straße. Wenn wir von derselben abkommen, prallen wir gegen irgendwas Felsiges oder rauschen den Berghang hinab. Was sich seitlich der Straße genau befindet und wie breit sie ist, kann ich nicht sehen. Da ist nur noch Wasser, keine Landschaft und schon gar keine Straße mehr. Und ich bin sicher, mein Taxifahrer kann auch nichts erkennen. Aber er weiß es. Er ist vom Hotel gesandt, mich abzuholen und er kennt sicher den Weg sehr gut. Er fragt auch einmal, ob alles ok mit mir sei – ich sitze wohl ein bisschen anspannt an den Sitz geklammert. Ich zähle die Kilometer runter und vertraue darauf, Allah möge uns leiten und die letzten Kilometer bis zum Ziel Kandovan schnell vorübergehen lassen. Wie durch eine Wunder erreichen wir dann auch unversehrt das Ziel.
Die Busfahrt war lang, beim Umsteigen von Bus auf Taxi am Busbahnhof von Täbriz gießt es in einem Maße, wie ich es vielleicht noch nie erlebt habe. Eine halbe Minute im Freien reichen, um vollständig durchnässt zu werden. Während der Fahrt ins 50 Kilometer entfernte Kandovan ist es zunächst wieder fast trocken, bevor es den ganzen Abend erneut wie aus Eimer gießt. Am nächsten Tag erfahre ich, dass es nur 40 Kilometer westlich von Kandovan in der Nacht meiner Ankunft schlimmste Überschwemmungen mit 40 Toten gegeben hat.
Das ahne ich noch nicht, während ich mich in der ersten Nacht mit gefühlten 40 Grad im Zimmer herumplage. Die Fußbodenheizung in diesem schicken in die Felsen gebauten Hotel läuft auf Hochtouren, man kann nicht barfuß gehen, abstellen lässt sie sich angeblich nicht. Die Rezeption meint, ich solle das Fenster öffnen. In Energie- und Umweltfragen gibt es erstmal keine Bestnote.
Am nächsten Morgen beim ersten Gang durchs Dorf staune ich nicht schlecht. Ein faszinierender Ort. Als Behausungen dienen im oberen Teil des Dorfes die Tuffsteinformationen, die das Ergebnis vulkanischer Tätigkeit sind.
Unzählige spitze Felsen reihen sich auf der linken Talseite auf. Ihre Form ist zumeist durch Erosion entstanden, aber die Menschen, die hier wohl seit Jahrtausenden in den Felsen leben, haben diese auch geformt. Sie leben darin. Unterhalb der bewohnten Felsen, teilweise auch mit ihnen verwachsen, liegen quadratische Felssteinhäuser. Je weiter oben, umso weniger gerade Wände gibt und umso geschickter sind die Behausungen in die Felsen integriert.
Kurz denke ich, die Regisseure von manchen Science Fiction Film müssen hier gewesen sein. Sieht teilweise aus wie Star Wars.
Wenn man ein bisschen zwischen den oberen Häusern herumläuft, ahnt man, welch verschachtelte Gänge es zwischen den verschiedenen Eingängen geben muss. Auch Terrassen und Brücken haben die Bewohner angelegt, die von der Hauptstraße nicht einsehbar sind. Ideale Verstecke müssen das sein – und das waren sie auch immer wieder in der Vergangenheit. In kriegerischen Zeiten zogen sich die Menschen aus der umliegenden Region hierher zurück, wohl auch aus dem nahen Tabriz.
Ich wandle erst einmal durch die Gassen und merke schnell, dass hier noch das echte Leben herrscht, die meisten Bewohner kümmern sich nicht allzuviel um die Touristen. Das mag aber auch daran liegen, dass gerade nicht viele da sind. Jedenfalls leben die Menschen in den alten Häusern, ob Höhle oder nicht, und die sind unglaublich einfach eingerichtet.
Ich lerne über das Personal im Hotel Leute kennen und besuche sie kurz in ihren Häusern. Eine deutliche Zurückhaltung prägt die kurzen Besuche. Meist verfügen sie über genau einen Wohnraum plus Vorraum, in dem Schuhe und andere Dinge abgestellt werden. Der Wohnraum ist nämlich immer komplett mit Teppichen ausgelegt. Dieser eine Raum ist dann aber auch Küche, Ess-, Schlafzimmer und Wohnzimmer zugleich.
Die Menschen leben von Obstanbau, Ackerbau und der Schafzucht. Auch jetzt im April ziehen die Hirten jeden Tag mit Schafen das Tal hinauf und abends geht es zurück. Ich habe ein paar unschöne Begegnungen mit einem übereifrigen hbirtenhund, der es allerdings bei Trockenbissen belässt.
Talaufwärts gibt es nur noch Ruhe und Einsamkeit. Langsam wird die Landschaft verschneiter und man erblickt den Gipfel des Kuh-e Sahand Gebirges, ein inaktiver Schichtvulkan. Ich wähne mich am Ende der bewohnten Welt und so verkehrt ist das auch nicht. Ein Skigebiet gibt es da oben allerdings auch.
Genau wie weiter südlich in Yazd, wurde auch das Wasser aus diesem Gebirge durch Qanats in die nahe Großstadt Tabriz geleitet. Tabriz ist sogar ein Kandidat für die reale Vorlage für den Garten Eden.