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Stadtlust

Georgien: Schönheit des Morbiden

Mai 31, 2013

Dies ist das Land, wo man Gold mit Hilfe von Schafsfellen aus den Flüssen förderte. Aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. stammen Funde von größter Schmiedekunst. Weit weg vom klassischen Griechenland – die Wege dürften damals beschwerlicher gewesen sein als heute – spielt das legendäre Land Kolchis eine wichtige Rolle in der griechischen Mythologie.

Die goldglänzenden Felle, die man in antiker Zeit dort fand und womöglich auch das ein oder andere schöne Stück mit nach Hellas nahm, verlangten schließlich nach einer plausiblen Erklärung. Und siehe da: Nephele, verbrämte Ex-Gattin von König Athamas von Böotien, einem kleinen Reich in Ostgriechenland, fürchtete um die Sicherheit ihrer Kinder, die dem Hass  von Kadmos, der neuen Frau des Königs, ausgesetzt waren. Auf ihr Bitten sandte man ihr Chrysomeles, einen Widder mit goldenem Fell, der ihre Kinder hinfort trug. Die Tochter Helle kam dabei abhanden, sie fiel ins Meer – nach ihr ist der Hellespont (heute Dardanellen) benannt. Den Sohn Phrixos jedoch konnte der Widder in Kolchis abliefern, wo er freundlich aufgenommen wurde. Zum Dank opferte man das Tier dem Gott Ares, sein goldenes Vlies aber wurde von Kolchis’ König Aietes in einem Hain aufgehängt und von einem nimmer schlafenden Drachen bewacht.

Später raubten Jason und die Argonauten das Vlies mit Hilfe von Aietes’ Tochter Medea – vermutlich der nicht rein mythologische Kern der Beziehungen.

Im Lande Kolchis aber dämmert gerade heute so einiges aus verschiedenen großen Epochen vor sich hin. Alte Häuser in Kutaisi halten Schönheitsschlaf. Das Grün wuchert dort ebenso wie an stillgelegten Fabriken aus Sowjetzeiten. Unrentable Betriebe aus Zeiten der Planwirtschaft sind allerorten zu besichtigen und verbreiten morbiden Charme. Nutztiere kennen hier den Wert des Individualismus und ergehen sich in Müßiggang.

In Kutaisi steht auch ein Denkmal für den armen Chrysomeles, es beherrscht einen weiträumigen Platz. Die Stadt drumherum ist eine Mischung aus orientalischem Basar mit hinreißenden global-gehandelten Billigprodukten, und altem Kurort mit klassizistischen Fassaden im Schatten grüner Hügel, die in der schwülen Hitze des Schwarzmeerklimas Abkühlung spenden. Auf einen Hügel mit einem altem Vergnügungspark führt gar eine Seilbahn hinauf, die wie so vieles hier Museumswert hat.

Stadtlust

Café Linville in Tbilisi

Mai 25, 2013

Urgemütlich und gleichzeitig ziemlich hipp sieht es im Café Linville aus. Man kennt das aus vielen Cafés in Berlin. Da sieht es jedoch oft ziemlich zusammengewürfelt aus, in anderen Läden reichlich gewollt. Hier stimmt jedes Teil, alles atmet den Odem vergangener Zeiten. Das fängt schon bei der Fassade des Eckhauses in der …-Straße an. Geht man die knarzende Holztreppe rauf, merkt man, dass hier alles wirklich ziemlich alt ist. Die kleinen Balkone zu zwei Seiten sind eng und wirken leicht brüchig, man sitzt nah an Baumkronen und abbröckelnden Fassadenputz-Elementen.  Drinnen ist alles entzückend romantisch-biedermeierlich.

Das nostalgische Flair zeiht nicht nur hippe Locals an, auch Filmcrews schauen vorbei, um hier zu drehen und bis in die Photo-Szene westeuropäischer Städte hat sich das Linville für seinen besonderen Charakter herumgesprochen. Das passiert natürlich nicht dauernd und so hat man tagsüber das Café oft fast für sic alleine.

Bleibt zu hoffen, das das Linville noch eine zeit lang dem Bau- und Erneuerungsboom in der Umgebung erwehren kann. Vielleicht weiß man ja, dass man hier eine echten Perle hat, einen Ort, der Atmosphäre in bester Form bietet und in Zukunft noch mehr Besucher anziehen dürfte.

In den Bergen

Hoher Atlas

April 15, 2013

Setti Fatma ist das letzte Dorf im Ourika-Tal. Die verschiedenen Ortsteile zwängen sich zwischen die steilen Hänge und den Fluss, der sich je nach Wasserstand seinen Weg durch das Schottertet sucht oder es eben ganz bedeckt. Dann steht in manchen Häusern das Wasser im Keller. Praktisch können deren Bewohner aber auch aus dem Haus heraus aufs Wasser ablegen.

Der Talboden zieht sich wie ein grünes Band durch die bereits im April vertrockneten Berge. Hinter Setti Fatma geht es nur noch zu Fuß weiter. Hier geht es dann nur in mehrtägigen hochalpinen Wanderungen über den Hauptkamm des Hohen Atlas, der im 4.167 Meter hohen Djebel Toubkal gipfelt.

Viele Dörfer verschmelzen fast mit der sie umgebenen rotbraunen Erde und den Felsen, so auch auf dem Weg vom Ourika-Tal nach Oukkaimeden, wo man auch Wintersport betreibt.

Auf der Südseite des Atlas ist die Landschaft noch trockener, die Felsformationen lassen an den Wilden Westen denken, nur dass es hier noch die schönen Dörfer aus einfachen Lehmbauten gibt. Der Lauf des Dades sorgt aber auch in dieser Trockenheit für ein grüner Flussbett mit gartenartigen Feldern. Weiter oben im Tal windet sich der Dades zwischen den Bergformationen und hat über die Jahre bizarre Felsformationen in die Landschaft gegraben.

Stadtlust

Rom

November 3, 2012

Rom ist einzigartig. Das wissen leider sehr viele Leute und so ist es nicht immer leicht, die Schönheit der Stadt auf sich wirken zu lassen, wenn tausende iphones und ipads neben einem in die Luft gehalten werden, um jeden einzelnen Moment der Ewigen Stadt für die eigene Ewigkeit festzuhalten.

Wer bei den Hauptsehenswürdigkeiten verzweifelt, dem sei empfohlen, zu Sonnenauf- und -untergangszeiten anzutreten. Dann liegen viele Besucher noch im Bett oder lassen sich die Touristenmenüs schmecken.

In-Viertel ist seit einigen Jahren Trastevere auf der westlichen Seite des Tiber. Hier gibt es keine Monumentalbauten, keine Haupt-Sehenswürdigkeiten. Die engen Gassen sind von niedrigen Häusern ohne viel Tand gesäumt. Das macht die Gegend natürlich umso pittoresker und damit auch interessant für touristische Zwecke. Auch in diesem “volkstümlichen” Viertel können sich die meisten Einheimischen mittlerweile keine Wohnung mehr leisten und es herrscht der Fremdenverkehr. Gutes Essen bedeutet das nicht unbedingt. Zum Glück verweigern sich manche Lokalitäten dem Locken mit großen Abbildungen von schlechtem Essen und dessen Darreichung in Form von massentauglichen Einheitsmenüs.

Wasser

Essaouira – ça ira

Mai 14, 2010

“Agadir – rien à dire, Essaouira – ça ira, Marrakesch – l’arnaquech, Tanger – danger”. So lautet eine beliebte Redewendung in Marokko. Wie viel Tiefsinn auch immer darin stecken mag, Essaouira ist jedenfalls die einzige Stadt, die dabei irgendwie gut wegkommt. Tatsächlich fühlt man sich in dieser weißen Stadt am Meer bisweilen verzaubert. Die Häuser, die teilweise auf der Stadtmauer hängen und den wilden Wellen des Atlantiks ihre massiven und in dunklen Farbtönen gehaltenen Außenseiten zuwenden, wecken Erinnerungen an kindliche Vorstellungen von Seeräuber-Nestern. Das lässt sich besonders gut auf der Stadt vorgelagerten Felsbänken wahrnehmen, auf denen man herumklettern kann. Innerhalb der Stadtmauern ist alles sehr eng, in den verschlungenen Gängen und Gassen, die oftmals unter den Häusern hindurchführen, verläuft man sich schnell. Im Gegensatz zu Marrakesch ist Essaouira ein Dorf, alles Luft recht gemütlich ab. Man kann sehr gemütlich zwischen den weißen Häusern herumschlendern, sich den starken olfaktorischen Reizen des Fischerhafens aussetzen. Abends speist man hervorragend in einem der Restaurants, die sich in jüngerer Zeit im Bereich eines erhöht gelegenen Stücks Stadtmauer etabliert haben und zum Teil gehobenen Ansprüchen genügen.