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Genuss-Orte

Ziegen auf dem Sonnendeck – Bio-Ziegenkäse aus der Provence

Juli 10, 2017

Claudette und Mathilde halten den ganzen Treck auf. Sie sind aufgeregt. Das liegt in diesem Fall an mir. Als Besucher und Fotograf bin ich nun mal ein Fremdkörper und bringe ihre Alltagsroutine etwas durcheinander. Im Gegensatz zu den anderen in der Gruppe möchten die beiden Damen den Fremden etwas genauer inspizieren und gehen den alltäglichen Weg nicht ohne weiteres. Doch eigentlich läuft ja alles wie immer: Es ist 18:30 und zum zweiten Mal heute geht es hinaus ins Freie.

Bergwiesen mit gesundem Wildwuchs warten auf Claudette, Mathilde und die anderen Ziegen. Was da alles wächst, schmeckt nicht nur, es ist zum Teil auch beste Naturmedizin. Viele Kräuter gedeihen hier auf 900 bis 1.100 Metern Höhe über dem Vallée du Jabron in der Provence, wo keine Pestizide und auch keine anderen Nutzungen dem Wildwuchs etwas anhaben können.
Mit seinem Hund führt Remy seine 33 Damen hinaus in die Natur, nur die ersten Meter muss er sie begleiten – weiter oben finden sie schon alle ihr Naturfutter und den weg zurück finden sie ohnehin.

Am Morgen hat Remy Gorge sie bereits auf die Alm gelassen, um 8 Uhr. Wenn es ihnen dann zu heiß wird, was im Juli in der Bergen der Provence unweigerlich passiert, kommen sie von selbst zurück zum Stall. Meist passiert das gegen 11 Uhr. Abends treten sie den Heimweg zum Stall an, wenn es dunkel wird. Sicher kommen sie auch gerne zurück, schließlich geht es ihnen gut auf dem Hof von Remy. Gemolken wird zwar in beengter Atmosphäre, aber ansonsten führen die Tiere ein angenehmes Leben.

Der 57jährige betreibt die Ziegenzucht ganz nach biologischen Prinzipien. Dazu zählt nicht nur, dass die Tiere einen guten Teil ihres Lebens im Freien verbringen, sie bekommen auch natürliches Futter, das in der Region wächst.

Das schmeckt man dem Käse, den Remy aus der Ziegenmilch auf dem Hof herstellt, wiederum an.

Jeden Samstag fährt Remy in aller Früh nach Aix-en-Provence, um den Käse auf dem Markt zu verkaufen. Im Tal des Jabron gibt es zu viele Käsereien und zu wenige Abnehmer, als dass alle Bauern ihren Ziegenkäse hier vermarkten könnten. Nubichon nennt er sein Produkt. Ein selbst kreierter Eigenname, angelehnt an die Herkunft von zwei seiner drei Böcke, die von einer nordafrikanischer Ziegenrasse abstammen.
Die Böcke bleiben übrigens drinnen, während die weiblichen Ziegen auf Tour sind – das wäre dann doch etwas zuviel Aufregung durch eine freies Aufeinandertreffen der Geschlechter und Free love wäre wohl nicht im Sinnen des Ziegenzüchters. Die drei Jungs haben aber auch im Stall eine Menge Spaß.

Auch die kranken und die ganz jungen Tiere werden nicht dem Treiben in der Natur ausgesetzt. Vor dem Ausgang morgens und abends werden die weiblichen Tiere gemolken und bekommen Kraftfutter – aus eigener Herstellung. Remy beschreibt sich als 4 Personen in einem: Er ist Ziegenwirt, Ziegenkäse-Hersteller und Vermarkter seiner eigenen Produkte. Und er baut das Heu für die Fütterung selbst an. Dass es sich um Gentechnik- und Antibiotika-freies Futter handelt, ist schließlich ein wichtiges Kriterium für die Bio-Qualität.

Insgesamt kann er gut leben von seinem Hof mit den Ziegen, er ist nicht zwingend auf Subventionen angewiesen, was für ihn Sicherheit und Unabhängigkeit bedeutet.

Natürlich ist das Leben als kleiner Bio-Landwirt kein leichtes. Die Ziegen wie das Geschäft kennen eben weder Wochenende noch Urlaub. Von Januar bis Oktober ist für Remy ein Tag wie der andere. Nur im Winter von November bis Januar, wenn die Ziegen trächtig sind, hat er wenig zu tun. Dann macht er ausgiebig Urlaub.

Er hat sich vor 37 Jahren ganz bewusst für diesen Weg entschieden. In Paris war ihm ein Platz in der Eisenbahngesellschaft sicher, aber das tägliche Einerlei zwischen Büro und städtischer Tristesse wollte er sich nicht antun. So zog er hierher, um einer Berufung nachzugehen. Sich eins fühlen mit dem was er tut, keinem Chef gehorchen. Die einzigen, die sein Handeln bestimmen, sind die Natur und seine Ziegen.

In den Bergen

Appenzellerland

Oktober 28, 2016

Der Spätherbst zaubert die schönsten Farben in die Landschaft. Mache ich mich doch kurz entschlossen in die Berge auf. Nur drei Tage waren drin, allzu weit durfte es also nicht sein. Endlich mal nach Appenzell. Wie das schon klingt: Appenzell: Altmodisch, gleichzeitig ein magisches Wort irgendwie. Aber ein ganz realer Ort bzw. eine reale Region zwischen Bodensee und Hochalpen, auf der Landkarte nur ein kleiner Fleck. Ein sehr schöner Fleck, das war mir als seit Kindheit von Landkarten Fasziniertem immer klar. Diese Zwischenwelt, wo voralpines Hügelland in steile Kalkgipfel übergeht. Dazu seltsame und mythische Geschichten, die sich gerade um diesen Landstrich ranken. Der leckerste Käse, die schrulligsten Bauern, die ihren Frauen bis in die 1970er Jahre nicht die Fähigkeit zur klugen politischen Wahl zutrauten.

Vor dem richtigen Ankommen von Norden: Ein Grau-in-grau über dem Bodensee, diesiges Wetter, das so gar keine Laune macht. Schwer vorstellbar für den ortsunkundigen, dass oben eitel Sonnenschein ist. Dann schwenkt man auf die kurvigen Straßen vom Rheintal den Berg hinauf ein und irgendwann wird es heller und heller. Dann ahnt man es langsam: Wenn es noch weiter den Berg hinauf geht, durchbricht man die Wolkenschicht bald und dann wird es ein “Oh”-Erlebnis geben. So ist es dann auch und auf einmal ist nur noch gleißendes Sonnenlicht und blauer Himmel. Die Wolkendecke liegt unter einem. Auch von den höchsten Aussichtspunkten blickt man auf diese geschlossene Decke hinab. Das Erstaunliche: Auch das Hochtal um den Ort Appenzell liegt unter der Decke. Am spannendsten ist das Ganze da, wo man genau an der Grenze liegt. Mystisch wandert man in Dörfern wie Trogen durch die obersten schichten des Nebels.

Im bin dann im Laufe des Nachmittags immer wieder durch die Wolkenschicht gefahren, bergauf und bergab. Am Ende des Abends stand ich auf dem Balkon des Hotels Frohe Aussicht in Schwende, nahe dem Alpstein-Massivs. Nacht, Nebel, Stille, mystische Stimmung.

Am nächsten Tag bietet sich ein ganz anderes Bild: oben und unten alles ganz in Sonnenlicht getaucht. So besieht man die ganze Topographie vor Augen, auch Fond en Gipfeln wie dem Hohen Kasten, einem exponierten Gipfel am Rand des Rheintals.

 

So habe ich mal wider gesehen: Der Spätherbst bietet unerwartete und spektakuläre Wetterphänomene, die der spektakulären Berglandschaft noch mehr Reiz verleihen.

 

 

Wasser

Bretagne

Juli 12, 2015

Ich hab’ mich das ja schon immer gefragt – wie die Leute an schönen Sommerabenden einfach so in ihren Häusern verschwinden können. Gänzlich verrückt ist, dass viele das nicht nur in heimischen Landen tun, sondern auch im Urlaub. Während also an wunderschönen Küsten die Sonne sich langsam gen Horizont sinkt, sitzen diese Menschen beim Abendessen und anschließend gibt’s noch ‘ne Runde Brettspiele oder TV, nun ihr Kinder müsst dann leider mal ins Bett. Was all diese protestantisch-disziplinierten Transzendenz-Verächter und Romantik-Hasser verpassen, kann kaum beschrieben werden. Na gut, haben wir das halt für uns. Die Stimmung unter abendlichen Himmel ist mitunter unbeschreiblich schön, zumal wenn man sich als Destination eine Region ausgesucht hat, von der aus man qua Nomen des Abends aufs offene Meer schaut. Finistère – am Ende der Welt meinte man hier zu sein – damals, bevor man von Amerika hörte. Hier ging die Sonne schon immer zuletzt unter von allen Orten auf dem europäischen Festland. Das merkt man auch heute daran, dass es erst um Mitternacht dunkel wird. Gut, nordische Mittsommernächte sollen nun mal unberücksichtigt bleiben.

Wir jedenfalls voll so Sonnenuntergang zelebriert, auch da, wo man den gar nicht genau sehen konnte, weil irgendwelche Landzungen störten. Die Halbinsel Crozon jedenfalls ist zerklüftet, Buchten wechseln sich immer wieder mit wellenbrechenden Klippen ab, unser Ferienhaus lag oberhalb einer Bucht, die nach Südwesten zeigt, die Sonne ging also hinter einem Höhenzug unter. Aber wen störst?! Die Lichtstimmung einmalig, auf der Pointe de Penhir bei Cabaret-sur-mer kann man dann auch den Sonnenuntergang bewundern. Oder man fährt dafür an die Granitküste im Norden der Bretagne. Es sind nur drei Stunden mit dem Auto. Dort kann man die untergehende Sonne zwischen großen Felsblöcken und kleinen aus dem Meer herausragenden Dino-Rücken sehen. Bei Plougrescant findet man dann auch dieses pittoreske Häuschen, das zwischen Felsen eingeklemmt ist und das jeder schon mal gesehen hat. Das ist schön, aber wer hat das Auto davor gefahren? Das wirkt als sei alles nicht ganz durchdacht, so vom Romantik-Aspekt her. Insgesamt ist diese Granitküste noch ein bisschen mehr Bilderbuch als alles andere, was sich auch in den fast übertrieben süßen Häuschen zeigt, sie ist aber auch weniger vielfältig als die Westspitze des Landes. Bei Crozon wechseln sich – wie gesagt – Felsenriffs und lange Sandstrände ab. Die Buchten ähneln, zumindest bei Ile Vierge, den schönsten am Mittelmeer. Auf der anderen Seite am offenen Atlantik hat man die wilden Wellen des Ozeans. Sich hineinzustürzen ist ein Riesenspaß. Freilich dar man das eigentlich nicht.

Genuss-Orte

Die süßen Früchte von Civita

Juni 8, 2015

Genaros tuckernder Minitraktor, eine Mischung aus Piaggio und Militärtransporter, steuert auf den Abgrund zu. Erst im letzten Moment sieht man, dass es hinter der Geländekante weiter geht – mit schätzungsweise 30% Gefälle. Dass das Gefährt hier diszipliniert runterrollt, scheinbar im 0,25ten Gang oder so – extra für das Steile gemacht – ist erstaunlich und entspannend. Vom Dorf Civita aus, das wie auf einer Terrasse hoch über der Raganello-Schlucht liegt, geht es scheinbar endlos den steilen Weg bergab, bis man ganz unten am Fuß der felsigen Berge ist, auf der Südseite des Monte Pollino. In dieser geschützten Lage ist es wahrscheinlich besonders in kühleren Jahreszeiten noch milder als im Dorf in seiner Plateau-Lage und es gibt daher beste Bedingungen für wärmeliebende Pflanzen. Auch wenn der Unterschied jetzt, Anfang Mai, kaum wahrnehmbar ist. Seit Tagen brennt die Sonne tagsüber das Hirn durch. Auch wenn man sich hier geographisch in den Bergen wähnt, liegt der Ort doch nicht mal 500 Meter über dem Meeresspiegel – beste Bedingungen also für allerlei südliche Pflanzen. Hier unten im Tal liegen nur ein paar kleine Parzellen mit Obst- und Gemüseanbau, umgeben von Felsen wie in einer Wildwest-Szenerie. Hier hat auch Genaro Pistocchi seine Obstbäume. Vieles, was hier wächst, hat das mitteleuropäische Auge noch nie erblickt. Die chinesischen Mandarinen beispielsweise, sehr klein und wie ein American Football geformt. Die kann man mit Schale essen – auch weil sie nicht gespritzt sind. Hineinbeißen ist wahrscheinlich dennoch nicht jedermanns Sache – das Saure dominiert im Geschmack eindeutig. Die Konsistenz liegt irgendwo zwischen Physalis und Orange. Es sind nur ein paar Bäume, aber die hängen reichlich voll von den kleinen orangefarbenen Früchten. An anderen warten Zitronen und Orangen darauf, vom Baum genommen zu werden. Manche Zitrusfrüchte verweigern sich mit ihren eigenwilligen Formen wohltuend den EU-Normen. Der Piretto – ich nehme wegen der männlichen Namensendung mal an, mit männlichem Artikel – gehört dazu. Wie viele verschiedene Arten hier auf den paar Quadratmetern wachsen, habe ich nicht ganz verstanden, vom Gefühl her ist jeder Baum seine eigene Art.

Manche dieser Früchte haben Geschmäcker wie man es sich bei mitteleuropäischem Marktangebot kaum vorstellen kann, die besonders abweichenden tendieren eindeutig in die süße Richtung. Genaros Frau Angela jedenfalls veredelt einige der Früchte zu Marmelade und Hochprozentigem. So gibt es neben Orangen-, Feigen-, Waldbeeren-Marmelade auch Liköre wie Limoncello und Lakritzlikör, alles nur in kleinen Mengen und meist für den eigenen Gebrauch.

Civita hat nicht nur viele besondere Früchte auf seinen Flächen zu bieten, es hütet auch eine besondere Geschichte. Das Dorf gehört zu den insgesamt 56 über ganz verteilten Gemeinden, in denen Mitglieder der Arbëresh leben, Nachkommen der vor 600 Jahren vor den Osmanen aus Albanien geflohenen Christen. In Civita leben die vielen Nachkommen dieser frühen Flüchtlinge ihre Tradition noch ziemlich bewusst. Jedes Jahr Anfang Mai feiert man den Geburtstag des Nationalhelden Skanderbeg, Verteidiger gegen die Osmanen.

Interessantes zeit sich auch in den Gebäuden. Manche der alten Häuser haben Gesichter. Das ist kein Scherz und auch nicht dem guten Wein des Ortes geschuldet. Als Casa Codra bezeichnet man ein Haus, das sich in seiner Fassade zwei Augen, eine lange Nase – dabei handelt es sich meist um einen Schornstein – und einen ziemlich gierig, weil weit, geöffneten Mund präsentiert. Häufig sind diese Häuser aber nicht, man muss sie im Gassengewirr gut suchen.

Apropos Wein: der wird natürlich auch im Ort kredenzt. Das macht unter anderem Agostino Cerchiara. In seiner Kelterei werden jedes Jahr 4.000 Liter roter Rebensaft abgefüllt. Etwas außerhalb des Ortes züchtet Agostino außerdem eine besondere Delikatesse. Auf einer kleinen Gartenfläche wachsen in üppig wuchernden Sträuchern Schnecken heran.

 

 

Genuss-Orte

Die Lukanischen Dolomiten

Juni 3, 2015

Nicht wenige Regionen bedienen sich, um ihre touristisch zu vermarktenden Eigenheiten gebührend anzupreisen, gerne bei berühmten Namen. So bringt es die Welt laut Schweiztourismus auf 191 Schweizen, das tatsächliche Land inbegriffen, die Neue Zürcher zählt gar 233 Regionen, die sich des Namens bemächtigen, und wer weiß wie viele Hügel zwischen Estland, Hokkaido und Swasiland da noch unberücksichtigt geblieben sind.

Zu den größenwahnsinnigen Regionen, die sich eines bedeutenden Namens bedienen, zählt auch eine kleine Gegend in der Basilika in Süd-Italien. Rund um die Dörfer Pietraportosa und Castelmezzano erstrecken sich bizarre Felsformationen – die Lukanischen Dolomiten. Diese wilden Zacken erinnern von der Form her durchaus an das Hochgebirge am nördlichen Rand des Landes, angesichts ihrer Ausmaßen wirkt der vergleich schon etwas anmaßend. Auch wenn die höchsten Erhebungen der Gegend immerhin 1.800 Meter erreichen, sind die Felsen selbst kaum mehr als hundert Meter an einem Stück hoch. Da die Felsen sich aber malerisch hinter dem farblich schön abgestimmten Häusergewirr der zwei Dörfer erstrecken, wirken sie gleich noch ein bisschen imposanter. Von der Fernverkehrsroute zwischen Salerno und der Adria geht es rechts ab, immer sanft bergauf und schließlich durch einen langen Tunnel, dahinter bauen sich die steilen Spitzen plötzlich zur Linken auf und wirken auf den ersten Blick ein bisschen wie Pappmaché-Felsen hinter dem Dorf Castelmezzano, das von jenseits des Tals gleichermaßen wie ein Kulissenort aus einem Western herübergrüßt.

Im Ort ist dann alles ganz real, es geht es gemütlich und unaufgeregt zu, dörfliches Leben wird hier noch gepflegt. Das größte Hotel möchte sich allerdings schon ein bisschen anbiedern bei der Namens geebneten Region in den norditalienischen Bergen. Um so spektakulärer geht es in der Luft über dem Tal, das Castelmazzano und Pietraportosa trennt, zu: den tiefen Geländeeinschnitt kann man nämlich in James Bond Manier überwinden – mit einem »Flug des Engels«. Per Seilrutsche rauscht man mit bis zu 120 Km/h hoch über dem Abgrund entlang und spart so fast eine Stunde Autofahrt ein, schöne Ausblicke inklusive. Ich war für dieses Vergnügen zur falschen Zeit vor Ort, bin mir aber nicht sicher, ob ich das, wenn es gerade möglich gewesen wäre, gemacht hätte. Egal ob abenteuerlustiger Urlauber oder Nahverkehrs-Konsument – ein Zwei-Minuten-Ritt durch die Wolken, Kopf voran, bedeutet sicher jedes Mal Adrenalin pur.

In den Bergen

Im Safiental

April 22, 2015

Hoch über dem Safiental liegen neben den einzigen zwei Siedlungen des Tals viele einzelne Bauernhöfe. Das Licht im Spätwinter ist magisch, die Tage werden bereits länger und ein stahlblauer Himmel dehnt sich über der von zwei Metern Schee bedeckten Landschaft. In Tenna, dem oberhalb des Talbodens liegenden Weiler, gibt es einen Skilift, der von Solarkraft angetrieben wird.

Nur ein einziges Hotel hat der Ort. Viele Menschen verirren sich nicht ins Safiental. Der Weg ins Tal ist, den Naturgegebenheiten geschuldet, ein wenig abenteuerlich. Auf zwei verschiedenen kurvenreichen Straßen, zu beiden Seiten die Rheinschlucht Ruinaulta umfahrend, kommt man aus dem Vorderrheintal nach Versam, ab da geht es Einbahnstraße ins Safiental. Es gibt sogar noch einen nicht geteerten Abschnitt.

Es ist, als wollte das Tal die Massen nicht unbedingt ansaugen. Vielen Leuten in der Schweiz kommt beim Namen Safiental als erstes das Wort Subventionen in den Sinn. Fest steht, die Infrastruktur in dem engen Bergtal kostet viel, der größte Wirtschaftszweig – die Landwirtschaft – ist ein Fördermittel-Empfänger. Was liegt in dieser Lage näher, als auf Bio zu setzen. Mit den Kampfpreisen konventioneller Landwirtschaft in der Ebene mithalten zu wollen, wäre aussichtslos. Tourismus im großen Stil würde hier erst einmal gewaltige Investitionen in die Infrastruktur voraussetzen und das Ergebnis wäre dann auch fragwürdig. Als Alternative zum derzeitigen Modell erscheint einzig die Aufgabe des Tals als Siedlungsraum, manche Pragmatiker fordert das ernsthaft. Klar – alle Orte auf der Welt stehen im Wettbewerb miteinander und jeder soll sich gefälligst auf seine Stärken besinnen, geographische oder andere Vorraussetzungen dürfen da keine Rolle spielen. Das dieses Prinzip überall auf der Welt gewachsenen Strukturen abschafft und am Ende niemand gewinnt, wird geflissentlich ignoriert. Es lebe das Dogma.

Doch zurück zum Safiental. Beim Blick durchs Tal auf gleißende Gipfel im Süden hat man eine noch ziemlich unverfälschte Bergwelt im Blick.

Stadtlust

In den Straßen von Tbilisi

April 11, 2015

Die Straßen der Altstadt sind eng und von niedrigen Häusern gesäumt. Einige davon sehnen sich sehr nach Renovierungsarbeiten. In vielen Häusern meint man nicht, hier könne noch jemand wohnen und teilweise ist das dann auch nicht mehr der Fall. Es beschleicht einen der Eindruck, dass hier nur darauf gewartet wird, bis die alte Bausubstanz in sich zusammenfällt und man in einer   Disney-artigen Verballhornung der alten Architektur neue Bauten hochziehen kann, die nurmehr eine schwache Reminiszenz an das Alte zeigen. Das ist leider in Tbilisi an vielen Orten geschehen. Neue Straßenzüge wurden hochgezogen, denen man außen Holzbalkone angefügt hat, die an die historischen Originale erinnern sollen. Im zentralen Teil der Altstadt ist ein historisches Ensemble noch unverfälscht zu sehen.

Wasser

Amalfiküste

November 4, 2014

November: da kann noch mal schönes Wetter sein, es kann regnen – echt fieses Herbstwetter sein. Es kann auch bereits richtig Winter sein. Schließlich kommt man aus Deutschland. Und dann fährt man nach Süditalien und erlebt während der Reise… alles soeben Genannte, in mehrfachem Wechsel. In Rom noch einmal richtig Sommer, T-Shirt Wetter. Zuletzt überquert man die Bergkette, die den Küstenabschnitt bei Amalfi gegen Norden abtrennt und dabei fährt man durch einen nieseligen Nebel, der einen die Hand vor Augen kaum erkennen lässt, geschweige denn die Ziegen auf der schmalen Straße…. Die ist dabei so schmierig geworden, dass man mit dem Auto Pirouetten dreht, gegen die bergseitige Straßenseite abdriftet und gegen einen Felsen knallt. Wäre es die andere Seite gewesen, könnten hier womöglich keine Fotos vorgestellt werden…

Dann ist man an diesem exklusiven Ort, der sich die meiste Zeit des Jahres als Touri-Hölle präsentiert. Jetzt hat man ihn beinahe mit den Bewohnern alleine, meint man. Wenn man es so klug anstellt, dass man tagsüber die kleinen Dörfer am Meer meidet – nicht mal bewusst, sondern, weil es bei Wanderungen über die steilen Berge vieles zu entdecken gibt, dann bleibt der Eindruck bestehen. Man verpasst dann in den Orten tagsüber auch im November ganze Busladungen deutscher, japanischer oder amerikanischer Touristen, die alles im Schnelldurchlauf meistern – Respekt! Abends kehrt man in einen nur spärlich heimgesuchten Ort zurück.

Das launische Wetter und die wenigen Besucher, das erzeugt mitunter faszinierende, mystische Stimmungen in den steilen Hängen oberhalb des Meeres mit den vielen kleinen Dörfern und Häusergruppen, die sich in die teilweise senkrechte Landschaft einfügen. Nebelschwaden durchziehen die steilen Berge, dann und wann werden sie vom Sonnenlicht durchdrungen. auch um diese Jahreszeit bietet sich eine üppige Vegetation,auf vielen Gebäuden liegt eine Patina aus abgebröckeltem Putz, der ihnen erlaubt, Geschichte und Geschichten zu erzählen.

Hat man den Ort Amalfi einmal, vom Meer kommend, der Länge nach durchschritten, geht es nur noch die steilen, aber üppig bewachsenen Bergflanken hinauf. Den Weg aus unzähligen Treppenstufen führt immer wieder durch Mini-Siedlungen mit wenigen Häusern, bei denen jeweils ein Garten auf kleinster und der senkrechten Geografie abgetrotzter Fläche mit wahnsinniger Vielfalt an Anbaupflanzen gedeiht.

Die schwierige geografische Lage und das milde Klima begünstigten diese Tradition, die heute in guten und in wirtschaftliche schwierigen Zeiten diese Selbstversorgung erlaubt. Damit dürfte es freilich bald vorbei sein, wenn der Anbau aller möglicher Nutzpflanzen auch für den privaten Bedarf unter Strafe gestellt wird (die EU wollte dies bereits 2013 auf den Weg bringen). Wenn jedoch die Patentierung aller Nutzpflanzen abgeschlossen ist und der “Regulatorische Rat”, wie er im Transatlantik-Freihandelsabkommen vorgesehen ist, diese Ideen zu Gesetzt macht, müssen auch die Besitzer von kleinen Gärten jedes Stück Gemüse im Supermarkt kaufen. Wenn ihnen dazu mal das Geld fehlt, weil die extreme Topografie auch mächtig kostet bei der Infrastruktur, kann ja ein Rettungspaket helfen, freilich nur mit der Auflage von Verramschung öffentlichen Raums an private Investoren. Wäre ja auch zu schön… Mit der Pflanzenvielfalt hier wird es dann allerdings auch vorbei sein.

Zurück zu den Dörfern im Hinterland von Amalfi. Man steigt immer höher und die Dörfer werden zunehmend trutziger. Alle weiter oben gelegenen Weiler haben mindestens einen kleinen Wehrturm. Man steht hier oben, blickt an den wehrhaften Türmchen vorbei auf das nahe Meer und registriert, wie in dieser bilderbuchhaften Landschaft nahe dem Mittelmeer sich vor Jahrhunderten zwischen den Dörfern bekriegt wurde – wie im gebirgigsten Kurdistan. Man möchte sich dabei vorstellen, wie zwischen den Dörfern auf in Pfeif- oder Kelllautsprache oder auf sonst irgendeine verrückte Art kommuniziert wurde – vielleicht über das Tal hinweg – und wie des erst recht Spaß gemacht haben muss, als Kinder sich über die ferne zu verständigen, wo man sich trifft – an einem dritten Ort in der steilen Landschaft, den es dann als erstes zu erklimmen gilt. Wer den Roman “Der Baron auf den Bäumen” von Italo Calvino gelesen hat, muss hier daran denken – auch wenn die Handlung darin in Ligurien spielt.

 

 

In den Bergen

Val Calanca

August 7, 2014

Befindet man sich nicht gerade in der Nähe des Steinbruchs von Arvigo, dann empfindet man das Calancatal vor allem als eines: still. Auf seiner Länge von 20 Kilometern leben knapp über 400 Menschen, sieht man einmal von den zwei Dörfern Santa Maria und Castaneda ab, die den Eingang zum Tal überragen und damit geografisch eigentlich noch im Bereich des Haupttals – des Misox (Val Mesolcina) – liegen.

Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein im Calancatal. Abgesehen von den Steinbrüchen gibt es kaum Geschäftstätigkeit, Landwirtschaft wird aber auch meist nur noch im Nebenerwerb betrieben, anders als um 1500 heraus, als hier 3.000 Menschen lebten. Die wiederum konnten die kargen Böden nicht ernähren, im Laufe der Jahrhunderte lam es immer wieder zu Auswanderungswellen. Das Tal hat irgendwie nichts, was es gewinnbringend zu Markte tragen kann, bis auf den Calancascer Granit. Die Hälfte der Häuser steht leer, die ehemaligen Bewohner wohnen aber zumeist im nahen Tessin und pflegen ihre Häuser an Wochenenden oder während der Ferien. meisten

und auch der Tourismus hat sich hier nie richtig entwickelt. Was für ein Glück, denkt man, wenn man den Weg entlang des Talflusses Calancasca wandert. Sehr abwechslungsreich ist das: mal fließt das Wasser zwischen abgeschliffenen Felsen von einer kleinen Gumpe zur nächsten, dann wieder gibt es ein Stück ebener Fläche. Das Material wurde von der Calancasa im Laufe der letzten Jahrhunderte angeschwemmt, nachdem im Jahr 1513 ein gewaltiger Bergsturz das Tal beim heutigen Cauco unter sich begrub und den Fluss zunächst stark aufstaute. Von den steilen Talflanken stürzt vielerorts Wasser hinunter, unbestrittener Star unter den Wasserfallen ist aber die Cascata del Frot, die weithin sichtbar  oberhalb von Audio, dem zweitobersten Dorf, liegt.

Das Hotel “La Cascata” in Augio, das nach dem Wasserfall benannt ist, steht für eine besondere Auswanderungsgeschichte. Carlo Spandino, 1884 als Baumaler nach Paris ausgewandert, kehrte viele Jahre später heim. Jedoch nicht alleine – er brachte seine 16-jährige französische Ehefrau mit, der er hier im abgelegnen Bergtal ein adäquates neues Zuhause errichten ließ. So entstand der Palazzo, der heute Hotel ist – das Interieur wurde aufwendig zusammengetragen und füllte fünf Eisenbahnwaggons. Auch ein Spiegelsaal war inbegriffen.

 

 

Stadtlust

Über den Dächern von Marrakesch

April 17, 2014

Die Gassen der Medina von Marrakesch sind eine Herausforderung für alle Sinne. Trotz der Touristenströme findet man ihr noch immer das pralle, wuselige Leben des Orients. Laut und eng ist es – alles drängt in den engen Gassen aneinander vorbei, die Marktschreier und Geschäftsleute bieten ihre Produkte nicht eben still an. Bunt ist es – Stoffe, Gewürze, andere Produkte in mannigfaltigen Farben liegen aus, dazu die Häuser in warmen Farben und ihre Türen. Gewürzstände sorgen für intensive Gerüche. Elias Canetti beschreibt in “Die Stimmen von Marrakesch” die Forderung aller Sinnesorgane – Farben und Gerüche im Souk, die Rufe der Blinden.

Will man der Hektik entkommen, steigt man ihr am besten auf’s Dach – von oben sieht man alles mit anderen Augen, vor allem mit mehr Ruhe. Hinauf geht es durch den Innenhof der Riads, wie die traditionellen Häuser mit Innenhof heißen, wobei der Innenhof – oft mit Springbrunnen – manchmal auch ein kleiner Garten sein kann, der auf allen vier Seiten gegen die Außenwelt abgeschirmt ist. Rund um diese privaten Oasen herum führen dann die Treppen nach oben. Praktisch alle Dächer sind flach und auf vielen ist eine Terrasse eingerichtet, von wo aus man dann die Dächerlandschaft aus wieder einem anderen Winkel betrachten kann. Viele der Terrassen gehören freilich zu einem Hotel, wobei auch günstigere Unterkünfte über diese Annehmlichkeit verfügen. Mitten am Tag wagt sich außer im Winter wohl niemand hier hoch, am späten Abend, wenn es angenehm kühl wird, sorgt das Licht mitunter für eine magische Stimmung. Dafür sorgt auch das Atlas-Gebirge, das aus der Ferne grüßt. Die bis in den Mai schneebedeckten Gipfel liegen näher als die Alpen an München. Die unübersichtliche Dächerlandschaft sieht an vielen Stellen noch so aus wie zu Zeiten als eine ganze Riege westlicher Bohèmians Marrakesch bevölkerte. Die Autoren der Beat Generation sahen hier im Spannungsfeld zwischen westlichen Exotik-Vorstellungen und einer archaischer Welt den natürlichen Ort für Ausschweifungen jeglicher Art – siehe “Naked Lunch” von William S. Burroughs. Heute bezeugen über den Dächern höchstens unzählige Satellitenschüsseln, dass wir uns im 21. Jahrhundert befinden. In manchen Viertel hängen Teppiche über den niedrigen Hausdächern – ein praktischer Aufbewahrungsort für die großflächigen Produkte, die für den Verkauf im angeschlossenen Teppich-Souk vorgesehen sind.